25 Jahre ist es her, dass die Grenze geöffnet, Zäune und Mauern niedergerissen wurden. Eine lange Zeit, aber auch ein Vierteljahrhundert später finden sich noch Spuren und Mahnmale der Trennung zwischen Ost und West im Harz.
25 Jahre ist es her, dass die Grenze geöffnet, Zäune und Mauern niedergerissen wurden. Eine lange Zeit, aber auch ein Vierteljahrhundert später finden sich noch Spuren und Mahnmale der Trennung zwischen Ost und West im Harz.
Eine Reise auf der Suche nach der Vergangenheit – eine Vergangenheit, die über Jahrzehnte das Leben im und am Harz prägte. Vor 25 Jahren, im Oktober 1989, durchtrennte Deutschland, durchschnitt den Harz noch immer der Eiserne Vorhang. Jene DDR-Grenze, die die Flucht der eigenen Bürger verhindern sollte. Ein unüberwindlicher Todesstreifen – in seinem Status scheinbar zementiert. Bis zu eben jenem Herbst der Wende.
25 Jahre sind in den Jahrmillionen der Erdgeschichte vielleicht ein Wimpernschlag – und muss man genau schauen, um noch Punkte zu finden, die an die einstige Grenze erinnern. Die Reise beginnt bei Hornburg. Hinauf geht es zum Kleinen Fallstein. Hier hier stehen oben noch ein paar Felder des Streckmetallzauns. Der Zaun so engmaschig, sodass ein Hineingreifen zum Hinüberklettern kaum möglich war. Wanderer treten durch ein Loch im Zaun, durchqueren die Reste des alten Kfz-Sperrgrabens, um auf einen alten Kolonnenweg zu gelangen – die charakteristischen gelochten Betonplatten. Auch im Harz sind es die einzigen Relikte der Grenze – bis Sorge mit seinem Grenzmuseum. Links und rechts säumen Birken den Weg. In der Zeit des Kalten Kriegs war hier oben freie Sicht – unter anderem mit Pflanzenschutzmitteln verhinderte das DDR-Grenzregime den aufkeimenden Bewuchs. Der Kolonnenweg führt nach wenigen Metern oberhalb von Rhoden zum letzten erhaltenen Beobachtungsturm im Vorharz. 14 gab es früher zwischen Hornburg und Harzrand.
Geht es weiter, lässt sich nur noch erahnen, wo entlang die Grenze lief. Sind die Flächen nicht landwirtschaftlichen bewirtschaftet, sind oft die charakteristischen Birken, die sich vor mehr als zwei Jahrzehnten aussamten, ein Indiz für den Verlauf. Zwischen Wülperode und Wiedelah stehen dann an der Landesstraße wieder ein paar Zaunelemente – mit Kfz-Sperrgraben. Zur 25. Wiederkehr des Wendeherbstes wird der Zaun – obwohl in einem Naturschutzgebiet – wieder freigeschnitten. Ein Denkmal. Die Suche geht Richtung Süden weiter – immer mal wieder ein Rest Kolonnenweg, Birken. So geht es bis Stapelburg/Eckertal am Harzrand. Historischer Ort.
Hier erhielt der Eiserne Vorhang zwei Tage nach dem Fall der Berliner Mauer sein erstes Loch. Doch als Mahnmal erhalten geblieben ist von der pioniertechnisch ausgebauten Grenze auch hier kaum etwas. Ein Stück Schmucksteinmauer steht noch. Sie ging früher rechts und links 150 Meter von der Straße ab, die an der Ecker endete. War Sichtschutz. So ein Bauwerk gab es nur in Stapelburg. Anders als der Bunker des einstigen, abgerissenen Beobachtungsturms steht sie noch nicht unter Denkmalschutz. Doch der Bunker lässt sich hinter Brandtrümmern und einer Polizeiabsperrung nur erahnen. Kein Museum, kein Erinnerungsraum. Die Spuren der Geschichte sind fast ausgelöscht.
Es ist der 9. Oktober 1989. In Leipzig haben sich rund 70.000 Menschen versammelt, um über den Innenstadtring zu ziehen. Startschuss für die Massenproteste, die friedliche Revolution in der DDR nimmt Fahrt auf – und sie wird die Berliner Mauer und den Eisernen Vorhang hinwegfegen. 25 Jahre später sollten eigentlich in Berlin und Leipzig Freiheits- und Einheitsdenkmale daran erinnern – doch es gibt sie nicht. In den Metropolen haben die Verantwortlichen es aus verschiedenen Gründen nicht geschafft, sie zu verwirklichen. Anders im Harz – dort gibt es gleich mehrere Monumente.
Das von seinen Ausmaßen sicherlich größte steht zwischen Wennerode und Abbenrode direkt an der Eisenbahnstrecke Vienenburg-Ilsenburg: Es ist ein Environment mit dem Titel „Auflösung Eiserner Vorhang“ und entstand auf Initiative des Künstlers Claus Christian Wenzel. Insgesamt zehn abstrahierte Stahlelemente, die an die Segmente der Mauern in Berlin oder auf dem Brocken erinnern, stellen dabei das Verschwinden des Eisernen Vorhangs dar.
Wenzel entwarf auch ein Freiheits- und Einheitsdenkmal, als an die Wiedervereinigung noch gar nicht zu denken war – 1986. Es war mehr ein „Einheitswunschdenkmal“. Es steht vor der Stadtfeld-Turnhalle Wernigerode – inmitten einer Plattenbausiedlung. Er verrät: Seine drei glatten, roten Säulen stehen für die Bundesrepublik, die rostige antike Säule symbolisiert die DDR – ein Denkmal, das der Volksmund auch „Riesenlötkolben“ nannte. „Seinerzeit sollte ein sozialistisches Denkmal entstehen. Aber es fehlte das Geld“, erinnert er sich. Es musste improvisiert werden – alle spielten mit.
Zwischen Wennerode und Suderode erinnert die Künstlerwerkstatt Detlef Kiep, Nicole Mentner und Anna Kölle an die ehemalige Grenze. Hier sind nicht nur die Grenzanlagen verschwunden – auch das Grüne Band ist anderweitig nicht erlebbar. Die Installation trägt den Titel „Begegnung“, besteht aus einem Positiv und seiner Negativform. Ein Riss durch den einen Betonblock verdeutlicht den Grenzverlauf – auf den beiden Betonelementen gehen Figuren aufeinander zu. Ost und West scheinen sich zu treffen.
Gar die Hand reichen sie sich in Stapelburg. Zwei Figuren treffen sich in einer Lücke, die in der von Stacheldraht bekrönten Mauer klafft. Das dortige Denkmal steht an jenem Fleck, an dem nach dem Fall der Berliner Mauer der Eiserne Vorhang mitten durch Deutschland am 11. November 1989 sein erstes Schlupfloch erhielt.
Auch ein Naturdenkmal erinnert an die Teilung: Bei Sorge hat Herman Prigann einen kreisförmigen Wall aus Totholz erschaffen. Der Ring mit einem Durchmesser von 70 Metern liegt auf dem ehemaligen Todesstreifen. Im Inneren des Kreises ragen Pfeiler des alten Grenzzaunes mahnend hervor. Über die Jahre fällt das Totholz in sich zusammen und verrottet. Doch gleichzeitig entsteht neues Leben: Aus totem Material sprießen neue Triebe hervor.
In Abbenrode, dem einstigen Dorf im DDR-Sperrgebiet an der Ecker, setzen sie sich seit Jahren mit der Grenze auseinander. Ein Fenster in der St.-Andreas-Kirche erinnert an die Grenzöffnung – und 2013 errichtete der Heimatverein die Replik einer DDR-Grenzsäule. Sie ist Stolperstein in der Landschaft – mahnt, Teilung und Todesstreifen nicht zu vergessen.
Wer durch Deutschland von Ost nach West oder West nach Ost mit dem Auto reist, kommt unweigerlich an einem der Schilder vorbei. „Hier waren Deutschland und Europa bis zum 11. November 1989 um 16 Uhr geteilt“ verkündet eine der braun-weißen Tafeln in Eckertal und Stapelburg, jenen Orten, an denen im Harz 1989 der Eiserne Vorhang einen ersten Spalt gelüftet wurde. Als „Beitrag wider das Vergessen“ eroberten die Schilder vom Brocken aus die Straßenränder der Republik.
„An wichtigen Straßenverbindungen, die über die ehemalige deutsch-deutsche Grenze verlaufen, soll an den Fall des Eisernen Vorhangs und die damit verbundene Überwindung der europäischen Teilung im Herbst 1989 erinnert werden.“ So verlautbarten die Verkehrsminister aus Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Niedersachsen, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein in der am 18. April 2007 zum Ende ihrer Frühjahrstagung in Wernigerode verabschiedeten „Brocken-Erklärung“.
Der höchste Harzer Gipfel hat die hochkarätige Ministerrunde dabei besonders inspiriert. Neben Berlin, so ließen die Politiker verlauten, habe der Brocken „die Zeitenwende in Deutschland und Europa wie kaum ein anderer Ort symbolisiert“.
Ausgeschrieben wurde ein Wettbewerb, der die „künstlerische Gestaltung des Straßenraumes entlang der einstigen Trennlinie zwischen Ost und West“ zum Ziel hatte. Unter zwölf Agenturen setzte sich das Münchner Büro für Gestaltung Wangler & Abele mit seinem Vorschlag durch. Die optisch an die ebenfalls braun-weißen Tourismusschilder angelehnten Tafeln wurden in den Folgejahren installiert.
In der inhaltlichen Begründung hieß es, die aufgestellten Hinweistafeln symbolisierten das Zusammenwachsen Europas, das mit dem Fall von Grenze und Mauer in Deutschland eingeleitet wurde. Die Darstellung des ehemaligen Grenzverlaufes bewahre die Erinnerung an eine stark befestigte „unüberwindbare“ Grenzlinie, die im heutigen Straßen- und Landschaftsbild zum großen Teil nicht mehr erkennbar sei und bei kommenden Generationen in Vergessenheit zu geraten drohe.
Auch Erinnerungen an große Momente der Weltgeschichte gibt es aber nicht kostenfrei. Für 700 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer und Versandkosten offerieren Unternehmen im Internet die „Erinnerungstafel gemäß ,Brocken-Erklärung‘ Nr. 386.3-50 nach STVO“. Eine profane Bezeichnung für eine Idee, die an das bedeutendste historische Ereignis in Nachkriegsdeutschland erinnert.
Mit insgesamt 109 Erinnerungstafeln sind die rund 1400 Kilometer versehen, über die sich die innerdeutsche Grenze einst erstreckte. 13 dieser Schilder finden sich in den niedersächsischen Harzer Landkreisen Goslar und Osterode wieder – und von Osten kommend natürlich auch in den sachsen-anhaltinischen und thüringischen Landkreisen Harz, Nordhausen und Eichsfeld.
Die 13 Erinnerungsschilder finden sich in den Landkreisen Goslar und Osterode an folgenden Straßen:
Straße | Grenzorte | Datum der Grenzöffnung |
---|---|---|
4L 511 / L 90 | Wiedelah - Wülperode | 10.02.1990/10:00 Uhr |
4L 510 / L 89 | Wennerode - Lüttgenrode | 20.12.1989/ 14:00 Uhr |
4K 27 / K 1336 | Lochtum - Abbenrode | 27.01.1990 / 08:00 Uhr |
4L 501 / L 85 | Bad Harzburg - Stapelburg | 11.11.1989/16:00 Uhr |
4B 27 | Braunlage - Elend | 12.11.1989/14:30 Uhr |
4B 242 | Braunlage – Sorge | 12.12.1989/11:30 Uhr |
4L 97 | Hohegeiß – Benneckenstein | 18.11.1989/06:00 Uhr |
4B 4 | Hohegeiß – Rothesütte | 12.11.1989/14:00 Uhr |
4L 602 / L 1037 | Zorge – Ellrich | 12.11.1989/07:30 Uhr |
4L 601 / L 1014 | Walkenried – Ellrich | 23.12.1989/14:00 Uhr |
4L 604 / L 1014 | Tettenborn – Mackenrode | 18.03.1990/11:00 Uhr |
4B 243 | Osterhagen/Nüxei – Mackenrode | 12.11.1989/19:30 Uhr |
4L 531 / L 1013 | Bartolfelde – Bockelnhagen | 10.12.1989/08:00 Uhr |
Aus der mörderischen Grenze ist ein „Grünes Band“ geworden. Wo einst Stacheldraht trennte, verbindet ein Vierteljahrhundert später die Natur. Ein geschichtsträchtiger Weg für Wanderer, die nach den Spuren der innerdeutschen Grenze allerdings suchen müssen – bis sie in Sorge durch Sperranlagen und Wachtürme mit einem der dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte hautnah konfrontiert werden. Das Grenzmuseum Sorge weckt wie keine zweite Stelle im Harz Erinnerungen bei jenen, die mit der Grenze aufwuchsen, und mahnt auch all jene Generationen, die das geteilte Deutschland nie erlebt haben.
Getragen wird das Freiland-Grenzmuseum in dem kleinen Oberharz-Örtchen von einem Verein. Dabei profitieren die engagierten Macher davon, dass die Gemeinde Sorge sich gegen den kompletten Rückbau der Grenzanlagen stellte. So avancierte Sorge zum einzigen Ort im Harz, an dem eine Original-Grenzanlage in dieser Größenordnung zu sehen ist.
Wie sehr die Grenzöffnung die Menschen bewegte und die Welt veränderte, lässt sich an der Flut der Bücher und sonstigen Publikationen, die sich des Themas annehmen, im wahrsten Sinn des Wortes ablesen. Auch im Harz ist die Liste der Veröffentlichungen, die sich vielfach einzelner Aspekte des Mauerfalls und der Wende widmen, beeindruckend lang.
An dieser Stelle seien aus der Menge lesenswerter Erinnerungen zwei Bücher herausgegriffen, die beide in Mauerfall-Jubiläumsjahren erschienen: Andreas Muellers „Grenzfälle im Herzen Deutschlands“ und Dr. Albrecht von Kortzfleischs „Der Eiserne Vorhang im Harz“. Während Andreas Mueller, langjähriger Chefredakteur der Goslarschen Zeitung, schon 1999 zur Feder griff, erschien das Buch Dr. von Kortzfleischs gerade jetzt zum 25. Jahrestag der Grenzöffnung.
Es sind sehr unterschiedliche Bücher, denen gemeinsam ist, dass beide den Bogen von der Errichtung des Eisernen Vorhangs über den Fall der Grenzanlagen bis in die Jahre danach schlagen. „Von einem Logenplatz in der Geschichte der Grenzöffnung im Harz holt der frühere GZ-Chefredakteur Andreas Mueller das atemberaubende Geschehen im November 1989 wie mit dem Fernglas heran“, schrieb die Kritik vor 15 Jahren zu den „Grenzfällen“. Und weiter: „Die Ausgewogenheit des früheren Leitartiklers wird in seinem Bemühen deutlich, die Folgen der ,Wende‘ aus der West- wie der Ostperspektive zu sehen, sein klarer Blick für die Realität in der Schilderung des Stimmungswandels nach der ersten Euphorie.“
Auf einem ganz anderen Weg, eher als penibler Chronist des Harzer Lebens mit der Grenze und nach der Wiedervereinigung nähert sich Dr. Albrecht von Kortzfleisch dem Thema. Sein reich bebildertes Buch verführt zu einem ersten spannenden Durchblättern. Gut beraten aber ist, wer sich eine zweite Lektüre gönnt und die präzise recherchierten Geschichten aus der Geschichte liest.
Erst kürzlich veröffentlicht wurde hingegen das Buch von Heidetraud Zierl. Ihr wurde zu DDR-Zeiten alles genommen, nur ihr Kampfeswille nicht. Diesen demonstriert sie nun auch in einem neu veröffentlichten Buch: mit „Politische Gefangene in der DDR. Von der Stasi kriminalisiert“ verarbeitet Heidetraud Zierl die Erlebnisse, die sie und ihr Vertrauen in Menschen stark verändern sollten.
Als Nichtkonforme mit dem SED-Regime, als Rebellin und als sogenannter Rowdy, wurde die damals 33-jährige 1981 von der Stasi kriminalisiert und unter körperlicher Gewaltanwendung ins Zuchthaus Hoheneck verbarrikadiert. Dabei basierte ihre ganze Inhaftierung auf einem Lügenkonstrukt.
Sie verlor ihre Söhne über lange Zeit – René, gerade einmal zehn Jahre alt, konnte bei der Großmutter bleiben; der fünfjährige André wurde in ein Kinderheim gesteckt. Um ihre Kinder wiederzubekommen, musste sich Zierl dem Aufenthaltsverbot in ihrer Heimatstadt Heiligenstadt und der Zwangsarbeit in Nordhausen beugen. Dort hoffte sie weiter auf die Ausreise mit ihren Kindern in die BRD. Doch erst die Flucht 1984 mit beiden Söhnen in die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin brachte ihnen die ersehnte Freiheit.
„Ich war in einem doppelten Gefängnis“, sagt Heidetraud Zierl heute. „Zum einen hinter der Mauer in der DDR, zum anderen im offiziellen Gefängnis hinter Stacheldraht“.
Mit umso größerer emotionaler Erleichterung stürmte Zierl daher am Tag des Mauerfalls mit fünf ehemaligen Insassen die Stasi-Zentralen in Berlin. Sie warfen Stühle und Schränke aus den Fenstern; ihre nun jugendlichen Söhne schauten zu und kommentierten: „Jetzt müssen die Fetzen fliegen“.
Es sei für sie ein Befreiungsschlag gewesen, so Zierl, gleichzeitig habe sie an die vielen Menschen denken müssen, die alles für die Freiheit riskierten. Auch sie musste für den Wunsch danach, anders als in der DDR zu leben, Undenkbares erleben.
Viele Goslarer kennen Pastor in Ruhe Gerd Meyer noch aus seiner Zeit im Frankenberger Pfarrhaus, wo er in den 1990er Jahren gewohnt hat. Was viele nicht wissen: Der heute 81-Jährige war in den 70er und 80er-Jahren als sogenannter „Grenzgänger“ für die evangelische Kirche tätig. Unter dem Decknamen „Taube“ diente er auf höchster kirchlicher Ebene der Übermittlung von Nachrichten zwischen den evangelischen Kirchenleitungen in West- und Ostdeutschland. Zum 25-jährigen Jubiläum des Mauerfalls hat der Geistliche nun ein Buch geschrieben. „Der Einsatz war hoch“, beschreibt Meyer seine brisante Tätigkeit. „Wenn ich geschnappt worden wäre, hätte ich selbst zusehen müssen, wie ich klarkomme.“
Noch riskanter war seine Organisation von Material- und Büchertransporten im großen Stil über die innerdeutsche Grenze. In seinem Buch „Grenzgänger der evangelischen Kirche“ spricht er erstmals über den geheimen Weg in die ehemalige DDR. Denn um abgehörte Telefongespräche und kontrollierte Post zu umgehen, überschritt der Geistliche ungezählte Male die Grenze zwischen West- und Ostberlin und nahm Mitteilungen persönlich entgegen. Aber nicht nur das: Er tat auch immer neue, teilweise abenteuerliche Wege auf, um Hilfsgüter und vor allem Bücher über die Grenze zu schmuggeln.
„Grenzgänger der evangelischen Kirche“, Gerd Meyer, Pro BUSINESS Verlag, 12,90 Euro. ISBN: 978-3-86386-715-7.
„Grenzfälle im Herzen Deutschlands“, Andreas Müller, Goslarsche Zeitung, 160 S., 9,10 Euro, ISBN: 3-9804749-1-7 (in den GZ-Geschäftsstellen).
„Der Eiserne Vorhang im Harz“, Dr. Albrecht von Kortzfleisch, Papierflieger-Verlag, 242 S., 17,50 Euro.
„Politische Gefangene in der DDR. Von der Stasi kriminalisiert“, Heidetraud Zierl, Tredition (Verlag), 92 Seiten, ISBN: 978-3-7323-0153-9.
Ost und West spielen in unseren alltäglichen Gesprächen selten eine Rolle. Zumindest historisch betrachtet. Auch als Herkunftsangabe wird es weitestgehend vermieden. Mein achtjähriger Sohn weiß, dass wir in Niedersachsen leben und seine Großeltern in Sachsen-Anhalt. Darüber hinaus kennt er noch ein paar Bundesländer, Thüringen oder Bayern zum Beispiel. Welches früher Osten und welches Westen gewesen ist, wusste er bisher nicht.
Mit zunehmender schulischer Reife und gehäufter Berichterstattung über die vielen Jubiläen im Zuge der Grenzöffnung kam es eines Tages trotzdem zu der unvermeidlichen Frage: „Mama, was ist eigentlich die DDR?“. Genau genommen war er damit bei mir an der richtigen Adresse. Ich bin dort aufgewachsen, war gerade 18 Jahre, als die Mauer fiel. Aber wie erklärt man einem Achtjährigen heute die DDR?
Spontan fiel mir eine Kindheitserinnerung ein: Meine Freundin hatte am ersten Schultag auf die Frage nach der Bedeutung der drei Buchstaben geantwortet „Deutsche Dackel Rennbahn“ – das hatte ihr großer Bruder so gesagt. Die Klasse feixte und wartete gespannt auf die Reaktion der Lehrerin. Die lächelte nur und meinte, man dürfe großen Brüdern nicht alles glauben. Alle atmeten auf. Es war nichts weiter passiert. Aber es hätte können. So viel war selbst uns Sechsjährigen schon bewusst. Das war die DDR. Aber soll ich das so meinem Sohn erklären?
Ich zeige ihm einen Grenzverlauf, den man nicht mehr erkennen kann. Stehe an der Gedenkstätte in Mattierzoll und erzähle von Mauern, Stacheldrahtzäunen, Wachtürmen und Wachhunden. Ihn interessiert nur, was die Hunde gemacht haben. Alles andere bleibt irgendwie nicht vorstellbar. Grenze? Wozu eine Grenze?
Neuer Versuch: Es gab bis vor 24 Jahren zwei deutsche Staaten, das Land war geteilt in Ost und West. Und, um es zu veranschaulichen: Mama ist im Osten, also in der DDR aufgewachsen, und Papa im Westen, also in Deutschland. Jetzt sitzen wir alle zusammen hier und versuchen, das begreiflich zu machen. Unser Sohn nickt tapfer, zu allem, was wir sagen. Wirklich verstehen tut er es nicht. Wie erklärt man ein Land, das es nicht mehr gibt? Das einem nach 25 Jahren in vielem selbst fremd geworden ist.
Sogar gleichaltrigen und älteren Erwachsenen, die nicht im Osten gelebt haben, ist manchmal schwer klar zu machen, wie das damals in der DDR gewesen ist. Desto größer der zeitliche Abstand wird, desto unerklärlicher werden manche Dinge. Aus der Distanz wirkt heute manches unfassbar und bleibt dennoch Teil der eigenen Biografie.
Inzwischen ist zumindest die Sache mit dem Grenzverlauf irgendwie in das kindliche Vorstellungsvermögen meines Sohnes vorgedrungen. Da gab es einen Zaun und eine Mauer, die niemand überwinden konnte. In Berlin verlief die Mauer sogar quer durch die Stadt. Auch das haben wir uns gemeinsam angeschaut – vor Ort und trotzdem in der Theorie. Es ist ein ab-straktes Gebilde, das ich da zu erklären versuche. Schon ganz grundsätzlich betrachtet. Wie erst soll man dann erklären, warum das Leben auf der anderen Seite anders war? Und was daran anders war? Dass wir nicht immer alles sagen durften, dass wir nicht überall hin reisen konnten, dass unser Leben irgendwie in engen Bahnen verlief, aber trotzdem nicht unglücklich war. Nur eben anders. Vielleicht versteht mein Sohn vieles besser, wenn er älter ist. Und vielleicht kann ein Geschichtslehrer es ihm später besser erklären.
Noch ist es wohl zu früh: Mit kindlicher Unbefangenheit verwechselt er immer mal wieder die Zuordnung zwischen Ost und West, DDR und BRD. Es hat auch eine Weile gedauert, bis er seine Mutter gedanklich im Osten und seinen Vater im Westen verankert hat. Denn es hat für ihn keine Bedeutung, wer wo groß geworden ist. Es ist ihm völlig gleichgültig. Das nährt die Hoffnung, dass nach 25 Jahren eine Generation heranwächst, für die Ost und West wieder einfach nur Himmelsrichtungen sind.
Wir bauen auf Ilsenburg“ – mit diesem Bekenntnis auf einem weithin sichtbaren Schild in der Marienhöfer Straße stehen der Bad Harzburger Bauherr Dirk Junicke und sein Partner Christoph Meier wahrlich nicht allein da. Die Stadt an der Ilse erlebt seit der Grenzöffnung ihr spezielles Wirtschaftswunder. Aus dem Gewerbegebiet und dem Industriepark werden in schöner Regelmäßigkeit Neuansiedlungen und Erweiterungen vermeldet. Und nun zieht Ilsenburg auch als Wohnstadt nach.
Vom „zukunftsträchtigen Standort“ Ilsenburg ist in den vergangenen Jahren mehrfach die Rede, wenn Neuansiedlungen im Industriepark oder im Gewerbegebiet Ellerbach Schlagzeilen machten. Es sind große Namen, die Gefallen am kleinen Ilsenburg gefunden haben: Der Autozulieferer CST GmbH, Christiansen Print, die Ilsenburger Grobblech GmbH, ein Unternehmen der Salzgitter-Gruppe, die zur Georgsmarienhütte Holding GmbH gehörende Radsatzfabrik, die JL Goslar Anoden GmbH und die ThyssenKrupp Presta AG als Weltmarktführer, wenn es um den Bau von Nockenwellen geht.
Das Ergebnis ist mehr als beachtlich. Die Kleinstadt mit gerade einmal 9500 Einwohnern weist 3500 Arbeitsplätze auf. Darunter viele hochqualifizierte und gut bezahlte Jobs. Das Ergebnis macht sich im Stadtsäckel bemerkbar: Von 2,2 Millionen Euro sei die Einkommenssteuer innerhalb von zwei Jahren auf 2,9 Millionen Euro gestiegen, bilanzierte Bürgermeister Denis Loeffke in einem Fernsehinterview Anfang des Jahres.
Wohin mit dem Geld? Eine Frage, die sich für Loeffke nicht stellt. Das Stadtoberhaupt, für den Wirtschaftsförderung erklärte Chefsache ist, verweist darauf, dass in den attraktiven Wohnstandort Ilsenburg investiert wird. Eine Rechnung, die offenkundig aufgeht.
Ein wichtiges Zeichen setzte da ein Bauherr aus der Partnerstadt Bad Harzburg. Rund 1,4 Millionen Euro haben Dirk Junicke und Christoph Meier in ein Mehrfamilienhaus in der Marienhöfer Straße investiert. Sie schufen zwölf Wohnungen, die modernsten Standards entsprechen und selbstverständlich barrierefrei sind. Der Erfolg ließ nicht auf sich warten: Bald kündigte Junicke an, vier weitere Häuser auf dem attraktiven Areal zu errichten.
Von einem Gesamtvolumen von rund vier Millionen Euro, spricht Dirk Junicke, der mit weiteren Projekten wie dem Hotel Plumbohms und dem Gasthof „Aussichtsreich“ auf dem Burgberg in Bad Harzburg oder auch „Plumbohms Alter Schule“ am Hohen Weg in Goslar starke Signale sendet, dass er nicht allein auf Ilsenburg, sondern auf den Harz insgesamt baut.
Die Nachricht vom Fall der Mauer erreichte Matthias Lux am 9. November 1989 in Göttingen. Der Student der Betriebswirtschaftslehre aus Langelsheim legte sich noch kurz ein paar Stunden aufs Ohr, fuhr am nächsten Tag früh mit seinem Goslarer Freund Rolf Ahrens nach Berlin und erlebte die nächsten Tage in der Spree-Metropole hautnah mit, wie sich Deutschland-West und Deutschland-Ost freudentrunken in den Armen lagen.
Zu diesem Zeitpunkt konnte Lux nicht ahnen, dass er 25 Jahre später in Halle an der Saale Chef von 2770 Menschen bei den Stadtwerken sein sollte – das sechstgrößte Unternehmen in Sachsen-Anhalt. Als am 11. November 1989 in seiner Harzer Heimat die DDR-Grenzzäune die ersten Löcher bekamen, feierte Lux mit seinem Kumpel Ahrens in der bald wieder aller Deutschen Hauptstadt dessen 23. Geburtstag. Gemeinsam hatten sie schon 1986 am Goslarer Ratsgymnasium Abitur gemacht und auf dem Fliegerhorst eine Ausbildung zum Reserveoffizier erhalten. Mit welch gewaltiger Waffenmacht sich Ost und West jahrzehntelang gegenübergestanden hatten, war den beiden bestens bewusst.
Lang, lang ist es her: Heute ist Matthias Lux 48 Jahre alt und wohnt mit Ehefrau Heike, die er noch am Ratsgymnasium kennen und lieben gelernt hat, und ihren zwei Töchtern an der Saale – mittendrin im Leben der Stadt. Dieser Weg war 1989 nicht vorgezeichnet.
Nach seinem Studium verschlug es Lux in den Süden nach Franken. In Nürnberg betreute er ab 1993 bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Rödl & Partner diverse Projekte im In- und Ausland – darunter auch Vorhaben in den neuen Ländern, wie sie damals noch so inflationär genannt wurden. In Dresden, Chemnitz und Straußberg hatte er Kunden. In Halle ging es um eine Kläranlage.
Er muss Eindruck hinterlassen haben: 1997 fing er bei den Stadtwerken im Referat Konzernprojekte an. Dort ging es unter anderem um die Euro-Einführung, das Jahr-2000-Problem, den Bau eines Freizeitbades und Trainingsprojekte in der Türkei und Bulgarien. Lux überzeugte und arbeitete sich in den nächsten Jahren bis an die Spitze hoch. Ab 2000 war er Leiter des Konzerncontrollings und Geschäftsführer der Verwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft, ab 2005 Chef der Stadtwirtschaft, die für Müllabfuhr, Straßenreinigung und Winterdienst verantwortlich zeichnet und bei rund 400 Beschäftigten auf einen Umsatz zwischen 25 und 30 Millionen Euro kam.
Als Geschäftsführer der Halleschen Wasser und Stadtwirtschaft stand Lux ab 2009 schon 700 Menschen vor (Umsatz: 115 Millionen Euro) und bekam die Trinkwasserversorgung mit dazu. Seit 2011 ist er Vorsitzender der Stadtwerke-Geschäftsführung. Der Betrieb mit seinen 16 Tochter- und Beteiligungsunternehmen weist einem Jahresumsatz von rund 550 Millionen Euro aus und hat ein Aufgabenspektrum, das von der Strom- und Gasversorgung über den Straßenbahn- und Busverkehr bis hin zum Saale-Binnenhafen reicht.
So weit der Hauptjob: Nebenbei fordern noch zwei Handvoll Ehrenämter wie der Aufsichtsratsvorsitz bei der Fernwasserversorgung Elbaue-Ostharz oder der Vorstandsvorsitz beim Förderverein Pro Halle. Dass der einstige Handballer, der als Jugendlicher und einige Herren-Jahre das Trikot der HSG Langelsheim/Astfeld trug, aber einmal den Wirtschaftsbeirat beim SV Halle Lions führen würde, einem Frauen-Basketballteam, hätte er sich wohl vor 25 Jahren auch nicht träumen lassen.
Er ist echter Fan geworden und mit den Stadtwerken auch einer der Hauptsponsoren beim Fußball-Drittligisten Hallescher FC. Das alte Kurt-Wabbel-Stadion, das komplett umgebaut wurde, heißt jetzt Erdgas-Sportpark, wird aber nach wie vor wie früher genannt. Zur Eröffnung gab im August 2011 Bundesliga-Dino Hamburger SV seine sportliche Visitenkarte ab. Nur am Rande erwähnt: Die Stadtwerke betreiben auch das Hallenbad, in dem Schwimmstar Paul Biedermann seine Trainingsrunden dreht. Lux kennt ihn von mehreren Begegnungen.
Das sportliche Mäzenatentum leitet sich aus der regionalen (Haupt-)Rolle ab, die die Stadtwerke im Osten Deutschlands weiterhin für sich reklamieren. Während im Westen die riesigen Energie-Konzerne dominierten, hätten Stadtwerke wie das in Halle noch die Hand am Puls der Menschen – so die Hauptthese des Buches „Erfolgsmodell mit Zukunft“, das Lux gemeinsam mit Vorgänger Wilfried Klose geschrieben hat. Einst titelte die regionale „Bild“-Ausgabe vom jungen Wessi und altem Ossi - das Denken ist beiden fremd. Klose selbst schlug Lux als seinen Nachfolger vor.
Zu Familien-Besuchen und Doppelkopf-Abenden mit Freunden weilt der Langelsheimer noch regelmäßig in seiner alten Heimat. Weil er der Stadt Halle aber seit 17 Jahren beruflich die Treue hält und zwischendurch nur einmal kurz und still über eine Goslar-Heimkehr nachgedacht hat, begegnet Lux jetzt hin und wieder bei Terminen einem anderen Niedersachsen. Der gebürtige Groß Ilseder Hartmut Möllring ist seit April 2013 Wirtschafts- und Wissenschaftsminister in Magdeburg. Der Präsident von Eintracht Hildesheim war zuvor zehn Jahre lang Finanzminister und starker Mann in der Landesregierung von Hannover und hätte bestimmt noch Monate vorher nicht geahnt, dass er einmal in Sachsen-Anhalt landen würde.
Gefälle. Kaum ein Wort bestimmt im ehemaligen „Zonenrandgebiet“ auf der einen und im ehemaligen „Sperrgebiet“ auf der anderen Seite der Ländergrenze die Diskussion mehr, wenn es um die Wirtschaft nach der Wende geht. Am Fördergefälle mag im Westharz kaum jemand Gefallen finden, das weiter existente Lohngefälle sorgt im West- und Ostharz gleichermaßen für Unmut – wenn auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
Unter dem Strich aber gilt 25 Jahre nach der Grenzöffnung und 24 Jahre nach Währungsunion und Wiedervereinigung wohl auch im Harz, was der aktuelle Bericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit sagt: „Heute, 25 Jahre nach der friedlichen Revolution 1989 in der DDR, können die Menschen in Ost und West stolz sein auf das, was gemeinsam erreicht wurde. Bei allen Problemen und Härten, die der Transformationsprozess in Ostdeutschland für die Menschen mit sich brachte, kann heute mit Fug und Recht behauptet werden, dass der Aufbau Ost gelungen ist. Die Weichen für eine wirtschaftlich dynamische und ökologisch verträgliche Entwicklung wurden gestellt.“ Verschwiegen werden kann aber auch nicht, dass es weiter Gefälle gibt, die überwunden werden müssen. So liegt die Wirtschaftskraft in den neuen Ländern immer noch 30 Prozent unter dem Niveau der westdeutschen Länder.
Was die Füllfederhalter angeht, gab es zwei deutsche Hauptstädte: Hannover, wo Pelikan und GeHa residierten, und Wernigerode. Die bunte Stadt im Harz sorgte in der DDR für den blauen Tintenfluss in die Schulhefte. Die Wende ließ den Volkseigenen Betrieb (VEB) Schreibgeräte untergehen, erstklassige Schreibutensilien werden zu Füßen des Schlosses aber weiterhin produziert. Die Schneider Schreibgeräte GmbH sorgte 1992 dafür, dass im Tintenimperium alles im Fluss blieb.
Heiko stand stets im Schatten der bunten West-Werbewelt. Technisch konnten die Füllfederhalter mithalten, auch wenn das Wernigeröder Werk immer wieder mit Mangel bei den Rohstoffen zu kämpfen hatte. Produktmanager Michael Klehm gehört ebenso wie Schneider-Betriebsleiter Peter Witteweg noch zu den „Heiko-Männern“.
In Heises Kommanditgesellschaft (HeiKo) entstanden unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg die ersten Füller. Fast ein halbes Jahrhundert lang gehörte ein Heiko dann zum festen Inventar der Federmappen in vielen Ländern des Ostblocks und hielten gerade im Design auch West-Vergleichen Stand.
Schreibutensilien und vor allem Patronen aus dem Ostharz avancierten zu Exportartikeln, brachten harte Währung in den chronisch klammen Arbeiter- und Bauernstaat. Mehr als 300 Mitarbeiter waren im Drei-Schicht-Betrieb aktiv. Damals wie heute wird die Produktion zu weiten Teilen von der Patrone bis zum fertigen Füller komplett in Wernigerode realisiert.
Wie für so viele Betriebe wurde die Wende dann aber trotz aller Qualität zum Wendepunkt für die Heiko-Füller. Die Westwaren-Welle spülte das Füllfederhalter-Unternehmen weg. Schon wenige Monate nach dem Mauerfall musste das Traditionsunternehmen Insolvenz anmelden.
Dass Heiko heute aus dem Schneider ist, war einem Schneider zu verdanken. Roland Schneider. Der Unternehmer, Chef der Schneider Schreibgeräte GmbH im Schwarzwald, erkannte das Potenzial des Heiko-Werkes, das perfekt eine Lücke im Firmensortiment füllte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte „die gute Schneider-Mine“ vor allem mit Kugelschreibern gepunktet. Das Unternehmen, das ausschließlich in Deutschland produziert und höchste Umweltstandards erfüllt, hatte es in diesem Segment zum Marktführer gebracht.
Seit der Übernahme 1992 wurden die Betriebsstätten mehrfach erweitert und modernisiert, weit mehr als 20 Millionen Euro investierte Schneider in seine Harzer Dependance. Dabei setzen die Wernigeröder Experten in Zusammenarbeit mit Schulen, Handchirurgen oder auch einem Chiropraktiker auf einem speziellen Sektor an. Ihr Augenmerk gilt in erster Linie den ergonomischen Eigenschaften der Füller.
Dass die Ideen der Entwicklungsabteilung und die Arbeit der Schneider-Belegschaft in Wernigerode auf dem Markt ankommen, belegen eindrucksvolle Zahlen. Zwischen zwei und drei Millionen Füllfederhalter werden produziert, hinzu kommen 15 Millionen Tintenschreiber und zwischen 30 und 50 Millionen Tintenpatronen. Komplettiert wird die Palette mit verschiedenen Markern, die ebenfalls in Millionen-Stückzahlen das Werk verlassen. Verkauft werden die Produkte beileibe nicht allein in Deutschland, aus dem Harz gehen die Schreibgeräte in mehr als 120 Länder in aller Welt.
Wer unterdessen nach Spuren forscht, die Heiko hinterlassen hat, wird heute auf Sammlerbörsen fündig. Dort wird ein original Heiko-Füller aus dem Jahr 1964 dann auch schon mal als „antiker Tintenfüller“ angepriesen. Die Erinnerungen an die versunkene DDR-Warenwelt verblassen ähnlich schnell wie jene an Mauer und Grenze. Zumindest einem einstigen Heiko-Werbeslogan aber wird in Wernigerode unter der Schneider-Flagge weiter Leben eingehaucht: „Heiko – gibt der Handschrift Charakter“.
Wir sind schlicht und einfach überrannt worden.“ Heinz Rohde erinnert sich gut an die Grenzöffnung und die folgenden Monate bis zu Währungsunion und Wiedervereinigung. Im Goslarer Autohaus der Heinemann-Gruppe erfuhren die Mitarbeiter um den damaligen Chef Dr. Hans Heinemann schnell, wie weit oben in der Wunschtraum-Werteskala vieler Ostdeutscher ein Westwagen rangierte. Erst zum Gucken, dann zum Kaufen stürmten sie das Autohaus in der Baßgeige.
Vor allem auch ein guter Service sorgte dafür, dass der Kundenzustrom nicht abriss – und Überlegungen auslöste, in Richtung Osten zu expandieren. „Ein weiteres Standbein in Wernigerode“, so erinnert sich heute der Geschäftsführende Gesellschafter der Heinemann-Gruppe, Marc Heinemann, war eine „logische Konsequenz der rasanten Entwicklung“.
Es wurde nicht lange gezaudert. Schon am 9. Januar 1993 wurde das Autohaus Heinemann im Gewerbegebiet Stadtfeld eröffnet. „Wir waren einer der ersten Betriebe aus den alten Bundesländern, die im Stadtfeld aufmachten“, sagt Heinz Rohde, der als Betriebsleiter in den ersten Jahren in der bunten Stadt am Harz viel Aufbauarbeit zu leisten hatte.
„Wir hatten ausschließlich Mitarbeiter aus den neuen Ländern eingestellt“, erzählt Rohde. Ein kluger Schachzug, denn so agierte das Team nach Dienstschluss sozusagen noch zusätzlich als Werbeträger. Vor allem aber hatten die Mechaniker in der turbulenten Anfangsphase, als noch nicht alle logistischen Stränge von West nach Ost reibungslos liefen, einen großen Vorteil: „Sie kannten sich mit Mangel aus, konnten improvisieren“, erzählt Rohde lachend.
Von den Autohäusern, die sich seinerzeit aus dem Westen nach Wernigerode aufmachten, ist das Autohaus Heinemann das einzige, das kontinuierlich seit dem Start vor 21 Jahren Präsenz zeigt, sind Marc Heinemann und Heinz Rohde durchaus auch stolz auf die Leistung, die die Unternehmensgruppe mit ihren Mitarbeitern erbrachte. Der Entschluss, die Treue vieler Kunden aus Sachsen-Anhalt dadurch auch zu belohnen, dass man ihnen quasi entgegenkam und vor Ort den bekannt guten Service bot, habe sich bis heute als richtig erwiesen.
Die Einnahmen aus den Boom-Jahren nach der Grenzöffnung wurden in der Gruppe klug reinvestiert. Heute steht Autoservice aus dem Hause Heinemann den Kunden an drei Standorten zur Verfügung: Goslar ( Honda, Hyundai, Fiat, Fiat Professional Service, Nissan Service), Salzgitter-Lebenstedt (Hyundai, Fiat, Fiat Professional Service) und Wernigerode (Citroen, Hyundai, Fiat, Nissan Service, Fiat Professional Service).
Der Mauerfall und die offenen Grenzen gegenüber Osteuropa machten es möglich: Ein junger polnischer Ingenieur nutzte alte Verbindungen in den Harz und startete in Nachwendetagen eine Unternehmung, die ihm heute Millionen Euro-Umsätze und 400 Mitarbeitern feste Arbeitsplätze sichert.
Früh morgens machte sich Joachim Siekiera mit seinem Polski Fiat auf den 650 Kilometer langen Weg von Krapkowice in Polen nach Goslar. An diesem Tag im Sommer 1991 wollte er Verwandte in Goslar besuchen – und legte nebenbei den Grundstein für ein mittlerweile europaweit und darüber hinaus wirkendes umsatzstarkes Unternehmen. Das erste Geschäft im Wert von 800 DM beruhte allerdings noch ausschließlich auf Vertrauen, das dem deutschstämmigen Joachim Siekiera in Goslar entgegengebracht wurde.
Krapkowice ist die einstige deutsche Kleinstadt Krappitz in Oberschlesien, im heutigen Südwesten Polens. Dort, wo der Fluss Hotzenplotz in die Oder mündet, zwischen Opole (Oppeln) und Katowice (Kattowitz) liegt das 17 000-Einwohnerstädtchen, das sein wirtschaftliches Herz in der Schuhproduktion und in der Papierfabrikation hatte.
Papier ist es auch, das Krappitz mit dem Harz verband. Denn die Fabrikationsstätten, die Natronag in Goslar-Oker und die Papierfabrik Krappitz AG, gehörten beide zur Natronzellstoff- und Papierfabriken Aktiengesellschaft. Joachim Siekiera war damals junger Betriebsleiter in der Krapkowicer Papiersackabteilung.
Nach dem Krieg verschlug es viele Krappitzer, die aus ihrer Heimat geflüchtet waren, nach Oker und Goslar. Sie fanden aus alter Verbundenheit in der Natronag eine Anstellung, bauten sich im Harz eine neue Existenz auf. Die Kontakte zur Heimat blieben bestehen, überdauerten den Eisernen Vorhang und den Kalten Krieg.
So führte den Betriebsleiter einer seiner ersten Westwege nach der Grenzöffnung in den Harz, einer Tante wegen, die er in Goslar besuchen wollte, und um die Natronag in Oker aufzusuchen. Geschäftliche Verbindungen gab es zwischen den beiden Werken seit der Ost-West-Teilung zwar nicht mehr, doch hoffte Siekiera, Einblicke in neue Technologien der Papiersackproduktion zu erhalten.
Von einem der Hauptauftraggeber der Krapkowicer Papierfabrik, der Zementfabrik im selben Ort, bekam er noch den Auftrag mit auf den Weg in den Westen, eine Druckplatte zum Bedrucken von Zementsäcken zu besorgen. Barmittel wurden dem Westreisenden allerdings nicht in die Hand gegeben.
Der Empfang in der Natronag in Oker war herzlich, dem Wunsch nach dem Mitbringsel für die Zementfabrik konnte man hier allerdings nicht nachkommen. Klischees, also Druckstöcke, wurden nicht selbst hergestellt. Die bezog die Natronag unter anderem von der Goslarer Firma Kropf.
Also machte sich Joachim Siekiera auf den Weg zum Spezialisten für Druckplatten und Druckfarben in die Baßgeige. Firmenchef Wolfgang Kropf empfing den Gast aus Polen höchstpersönlich, führte ihn durch die Produktionshallen und zeigte ihm die neuesten Techniken zur Farben- und Klischeeherstellung.
Joachim Siekiera staunte über die Wunder westlicher Technik. Er schaute genau hin, schwebte ihm doch vor, Ähnliches auch in Polen zu produzieren. Und dann war da noch der Wunsch der Krapkowicer Zementfabrik. Selbstverständlich war die Firma Kropf in der Lage und auch bereit, eine solche Druckplatte herzustellen, doch gab es ein Problem: Joachim Siekiera hatte kein Geld, um das 800 DM teure Werkstück zu bezahlen. Wolfgang Kropf war voller Vertrauen: Sein Gast solle das Klischee nach Krapkowice mitnehmen und hernach den Rechnungsbetrag per Überweisung begleichen.
Zurück in Polen lieferte Siekiera die Druckplatte beim Zementwerk ab, bekam das geforderte Geld und schickte es nach Goslar. Das war der Beginn einer mehrjährigen, guten Zusammenarbeit und der Startschuss für ein Unternehmen, das der Krapkowicer zunächst als Joint Venture zusammen mit Wolfgang Kropf und später allein, unterstützt von Kropfs Leiter der Farbproduktion, Dr. Jürgen Hauschild, aufgebaut und geführt hat.
Das Sortiment entsprach dem des Goslarer Vorbildes: Druckplatten und Druckfarbe. Hinzu kam später die Herstellung von Werkzeugen, mit denen Pappkartons gestanzt werden. Alles zusammen ein einträgliches Geschäft, das mittlerweile seit 23 Jahren stetig wachsend läuft. Das Familienunternehmen beliefert Druckereien in ganz Polen, in Deutschland und in vielen anderen europäischen Ländern. Es wurden Produktionsstätten in Tschechien, Rumänien, der Slowakei, in Österreich und in Leipzig gegründet.
In Krapkowice expandiert die Produktion ständig. Sobald neue Fertigungshallen bezogen worden waren, scheinen sie auch schon wieder zu klein zu sein. Gerade vor zwei Jahren wurde eine Produktionsstätte für die Druckfarbenherstellung völlig neu aufgebaut.
Aus dem einstmals vertrauensvoll in Goslar geliehenen 800 DM ist ein Jahresumsatz von zuletzt 67 Millionen Euro geworden. Mehr als 400 Mitarbeiter finden in der Firma „Chespa“ (Chemie-Siekiera-Papier) hochqualifizierte Arbeitsplätze.
Und diese Expansion beruht ausschließlich auf Qualität und Präzision der Produkte, nicht auf Preisvorteilen, die aus niedrigen Arbeitslöhnen hervorgehen. „Wir zahlen unseren Mitarbeitern ähnlich hohe Gehälter wie in Deutschland“, sagt Joachim Siekiera gegenüber der GZ. „Wir wollen doch unsere qualifizierten Mitarbeiter bei uns behalten und sie nicht in den Westen abwandern lassen.“
Beginn der Hochschule in Wernigerode
Als eine der jüngsten Hochschulen Sachsen-Anhalts vereinte die Hochschule (HS) Harz direkt nach der Wende Studenten aus alten und neuen Bundesländern. 1991 gegründet, gab es auf dem Campus in Wernigerode für Dozenten und Studenten einige Besonderheiten, welche die neue Hochschule mitbrachte.
Im Wintersemester 1991/92 wurde die HS Harz gegründet, insgesamt 75 Studenten waren damals eingeschrieben. Dazu kamen noch die letzten Studierenden der Agraringenieurschule (AIS), einer Bildungseinrichtung der ehemaligen DDR. Der Campus war zu der Zeit von dem Bild der Wende geprägt. So war die jetzige Rektoratsvilla ein Studentenwohnheim, das zuvor noch als Ferienheim des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) genutzt wurde.
Prof. Martin Wiese, mittlerweile Dekan des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften, war schon vor der Neugründung der HS Harz in Wernigerode tätig. 1989 unterrichtete er Informatik und Mathematik an der damaligen AIS. Mit anderen Dozenten reiste er dann nach Wolfenbüttel, um zu erfahren, wie man eine Fachhochschule (FH) auf die Beine stellt. Denn: „Niemand wusste so richtig, was eine FH überhaupt ist.“
Deshalb gab es regen Austausch mit der Hochschule in Wolfenbüttel: Erfahrene Mitarbeiter wie Rektor und Kanzler kamen von dort, war doch in Wernigerode die einzige „klassische Neugründung“ einer Fachhochschule in Sachsen-Anhalt. Herausfordernd sei dabei vor allem gewesen, dass viel auf Initiative der Dozenten passierte, berichtet Wiese. Das neue Bundesland stand selbst gerade mitten am Anfang, es gab weder richtige Verwaltungsstrukturen noch Ansprechpartner, die mit dieser neuen Einrichtung etwas anfangen konnten.
Carola Schmidt begann im Oktober 1992 mit ihrem Studium in Wernigerode. Die rund 160 Studenten waren damals noch im ehemaligen FDGB-Ferienheim untergebracht, zusammen mit den letzten „Bauern“, wie die AIS-Studenten von den Neuankömmlingen scherzhaft genannt wurden. Erinnern kann sie sich vor allem an die ständigen Umbauten, Erweiterungen und Änderungen. So bestand anfangs die Bibliothek aus einem Schrank mit knapp 30 Büchern. Schmidt half als Hilfswissenschaftlerin das Arsenal zu vergrößern, schon 1996 wuchs die Zahl der Bücher auf rund 30 000.
Viel wahrgenommen von dem politischen Umbruch habe sie aber nicht wirklich, erzählt Schmidt. Als 18-jährige Studentin sah man zwar die neuen Möglichkeiten, man habe aber auch ganz andere Sorgen gehabt. Für sie war die HS Harz eh eine „gesamtdeutsche Hochschule“: Es spielte für die Studenten keine wirkliche Rolle, ob man aus einem alten oder neuen Bundesland kam.
Für Carola Schmidt ist das heute auch noch kein Thema. Sie ist Geschäftsführerin des Harzer Tourismusverband und hat daher täglich mit dem Bundesländerdreieck Niedersachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt zu tun. Und auch nach Wernigerode gibt es noch Kontakt, hält sie doch jährlich Vorträge an der HS Harz.
Zum größten Firmen- und Immobilienverwerter aller Zeiten wurde die im Frühjahr 1990 von der DDR gegründete Treuhandanstalt. Sie sollte Tausende Volkseigene Betriebe mit mehr als vier Millionen Beschäftigten privatisieren oder „abwickeln“. Dazu gehörten 14 flächendeckende Bezirkszeitungen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Ihr rascher Verkauf an große westdeutsche Verlage hatte zur Folge, dass die Zeitungslandschaft im Osten Deutschlands zementiert wurde und keinen Platz für neues, zartes Grün ließ.
Diese bittere Erfahrung musste auch der Goslarer Zeitungsverlag Karl Krause machen. Seine Geschichte des Aufbruchs und journalistischen Engagements auf der Ostseite des ehemaligen „Eisernen Vorhangs“ ist symptomatisch für die ersten Jahre nach dem Mauerfall.
Sie begann mit einem ungeheuren Besucherstrom, der sich seit dem 11. November 1989 vor allem über Stapelburg/Eckertal in den Westharz ergoss: Der Wissensdurst der DDR-Bürger (ihre Landkarten waren westlich der Staatsgrenze weiß!) war dermaßen groß, dass sich die Goslarsche Zeitung (GZ) entschloss, in grenznahen Orten wie Bad Harzburg, Braunlage und Goslar Zehntausende Sonderdrucke mit allen wichtigen Informationen zu verteilen.
Gleichzeitig trafen GZ-Redakteure erste Vorbereitungen für Reporter-Einsätze im östlichen Harz. Dazu mussten sie sich beim Außenministerium der DDR als „Auslandskorrespondenten“ akkreditieren lassen. Wer von ihnen bis dahin noch nie einen privaten Wernigerode-Besuch über das dortige, für den „Kleinen Grenzverkehr“ zuständige Volkspolizei-Kreisamt zustande gebracht hatte (auch weil die Anreise nur über große Umwege möglich war), kam sich anfangs tatsächlich vor wie im Ausland.
Im Ergebnis aber fanden sich immer mehr spannende Nachrichten aus Wernigerode und Umgebung in der GZ. Der zweite Schritt war die Gründung der Wernigeröder Zeitung (WZ). Ihre erste Ausgabe kam am 1. März 1990 heraus. Sie verkaufte sich von Anfang an gut und wurde zur Konkurrentin für die Harz-Ausgabe der „Volksstimme“. Die Magdeburger Bezirkszeitung selbst wurde alsbald dem Zeitschriftenverlag Heinrich Bauer (Hamburg) zugeschlagen.
Der WZ-Erfolg der Anfangszeit basierte auf einer konstruktiven und fruchtbaren Zusammenarbeit von Ost-Redakteuren, die das Wissen über Land und Leute (samt deren Befindlichkeiten) einbrachten, und West-Redakteuren, die über das Know-how des modernen Zeitungsmachens verfügten.
Auf kaufmännischer Ebene gelang es der WZ, den Anzeigenmarkt im damaligen Landkreis Wernigerode aufzurollen. So standen alle Zeichen auf Wachstum, was den Verlag dazu bewog, kräftig – auch personell – in den Ausbau seiner Aktivitäten in Sachsen-Anhalt zu investieren. Auch die Leser der GZ profitierten davon: mit einer täglichen Top-Nachrichtenseite aus dem Raum Wernigerode. Umgekehrt erfuhren WZ-Leser alles Wesentliche aus ihrem Nachbarlandkreis Goslar.
Dieser Geschichte war jedoch kein Happy End beschieden: Trotz einer Auflage von rund 7000 Exemplaren musste der Verlag Krause Ende 1995 die WZ einstellen. Hauptgrund war ein ruinöser Wettbewerb, den der Bauer-Verlag überall führte, wo kleinere West-Verlage versuchten, im Verbreitungsgebiet der ehemaligen SED-Zeitung Fuß zu fassen: Dort warf er seine „Volksstimme“ zum halben Preis auf den Markt.
Wir haben gepokert und verloren“, resümierte der damalige GZ-Verleger Gert Krause in einer deprimierenden Betriebsversammlung. Das „Aus“ für die Wernigeröder Zeitung bedeutete nicht nur das Ende der täglich länderübergreifenden Berichterstattung: Für die Redakteure der „Harzer Volksstimme“ war es ein Pyrrhussieg. Nachdem das Monopol hergestellt war, dezimierte ihr Verlag die Redaktion.
Den ehemaligen WZ-Redakteuren – nicht wenige arbeiten bis heute bei der GZ – ist die Erinnerung geblieben: an hautnahe Erlebnisse in einer Zeit des atemberaubenden Wandels von der Endphase der DDR bis zum Aufbau völlig neuer Strukturen, die heute völlig normal sind. Der Weg dahin war entscheidend – und einmalig.
Als Bundeskanzler Helmut Kohl den Bürgern der DDR „blühende Landschaften“ binnen weniger Jahre nach der Deutschen Einheit versprach, nahm er den Mund zu voll. Dennoch: Dank des Aufbruchwillens und eines enormen Geldsegens erblühte vieles: So bekamen schmucke West-Städte wie Goslar neue/alte Schwestern, die sich hübsch machten. Ebenso erging es West-Universitäten wie der TU Clausthal, die von forschen Wettbewerberinnen auf Trab gebracht wurden.
Als Folge der Wiedervereinigung verlor die Harzer Uni Alleinstellungsmerkmale in der Bundesrepublik, auf die sie bis dahin setzen konnte. Das betraf den Bergbaubereich und andere Ingenieurwissenschaften, mit denen etwa die TU Bergakademie Freiberg bundesweit um Studierende warb. Und dies bald sehr professionell: Die kleine Universität im sächsischen Freiberg, das mit Clausthal-Zellerfeld eine Städtepartnerschaft einging, verknüpfte ihre artverwandte Tradition mit einem modernen Auftritt.
Als der Kalte Krieg pünktlich zur Heizperiode im November 1989 mit der Grenzöffnung zu Ende ging, war wohlige Wärme gefragt. Wärme aus dem Westen. „Wir wurden einfach überrannt“, erinnert sich Karl-Heinz Kramer, Innendienstleiter der Buderus-Niederlassung Goslar. Und der erste Ansturm sollte nur ein Vorgeschmack sein auf dass, was nach Währungsunion deutscher Einheit kommen sollte.
Ein guter Name, der für Qualität und Service steht, zieht über Grenzen hinweg. Wobei die Buderus Heiztechnik in der DDR Kennern bekannt war, erzählt Niederlassungsleiter Klaus Schulze. Die Anlagen waren dank der Caritas über die Grenze und vor allem in kirchliche Einrichtungen gelangt.
Unterdessen war die 1985 in der Baßgeige gebaute Goslarer Buderus-Niederlassung mit der Wende aus der Zonenrandlage urplötzlich ins Zentrum des Geschehens gerückt. Material und Wissen der Buderus-Experten waren gleichermaßen gefragt. „Früh morgens um 5 Uhr stand der Hof schon voller Trabis“, erinnert sich Karl-Heinz Kramer. Und nach der Währungsunion standen auch mal Kunden vor der Tür, die mit einem Koffer voller Geld kamen, um Rechnungen bar zu begleichen.
Diese Lieferliste war in jenen Jahren lang wie nie. „Obwohl das Material ohne Pause angeliefert wurde, konnten wir oft dennoch nur einen Bruchteil der Aufträge bedienen, da fühlte man sich wieder wie in der Mangelwirtschaft der DDR“, erzählt Klaus Schulze. Eine Erfahrung, die gerade auch das Goslarer Buderus-Team machen musste. Bis an die polnische Grenze wurde geliefert und Innungen und Handwerksbetriebe in der Ex- DDR orientierten sich vorrangig in Richtung der ersten Buderus-Niederlassung im Westen.
Mit dem Betreuungsgebiet, das heute bis Quedlinburg, Thale, Nordhausen, Göttingen, Uslar, Einbeck und Salzgitter reicht, wuchs auch der Unternehmenssitz in der Kaiserstadt. Knapp vier Jahre nach der Grenzöffnung wurde der Betrieb im Magdeburger Kamp deutlich erweitert. „Damit hatte die ,Lagerhaltung‘ auf dem Hof ein Ende“, berichtet Kramer schmunzelnd über die bewegenden und bewegten Jahre.
Der „Ausnahmezustand“ liegt ein Vierteljahrhundert zurück. Die Kunden aber, darauf sind Klaus Schulze und Karl-Heinz Kramer stolz, sind geblieben. Qualität und Service, die einst über die Grenze nach Osten zogen, haben den Grundstein für eine treue Partnerschaft und einen festen Kundenstamm gelegt.
Der Harz gehört zu den Regionen, die durch die ehemalige innerdeutsche Grenze besonders betroffen waren. Die Sperrlinie zog sich fast 100 Kilometer weit von Nord nach Süd über das Mittelgebirge und zerschnitt die Natur- und Ferienregion in West und Ost. Hier Zonenrand, dort Sperrgebiet: Wer zu DDR-Zeiten in Elend oder Schierke Urlaub machen wollte, brauchte einen Passierschein.
Jetzt wird Schierke – jüngster Ortsteil der Stadt Wernigerode – für 35 Millionen Euro zur Premium-Destination aufgemöbelt: neue Straßen, eine Freizeitstätte mit Eislauffläche, ein Parkhaus, das mehr Stellplätze hat als der 600-Seelen-Ort Einwohner zählt, und ein alpines Skigebiet, das nach jüngsten Plänen möglicherweise nicht nur bis zum Großen Winterberg an der Landesgrenze, sondern gleich bis zum Wurmberg reichen soll.
Auf der anderen Seite des Brockens, im Altenauer Ortsteil Torfhaus mitten im Nationalpark Harz, ist eine Vier-Sterne-Ferienanlage mit einem Hotel und 21 Lodges mit insgesamt 188 Betten entstanden. Zum Torfhaus-Harzresort-Investorenkonsortium um die Hildesheimer Lüder-Unternehmensgruppe gehört der Hamburger Outdoor-Ausstatter Globetrotter, dessen Chef Andreas Bartmann die 12,5-Millionen-Investition mit kaum zehn Prozent Förderanteil auch als eine Art Missionsarbeit im (West-)Harztourismus sieht – nämlich den örtlichen Akteuren zu zeigen, „dass es sich lohnt, Geld in die Hand zu nehmen“.
Dass das Beherbergungsgewerbe dringend an sich arbeiten müsse, hat auch Prof. Martin Weigel, Vorstand der GLC Glücksburg Consulting AG, immer wieder unterstrichen, seit sein Unternehmen das Tourismusmarketing für einige Oberharzorte übernahm. „Die Wiedervereinigung hat dem Harz anfangs satte Zuwächse beschert. Aber anstatt zu investieren und auf neue Themen zu setzen, haben viele Vermieter im Westharz einfach weitergemacht wie bisher“, stellt er fest.
Doch Hotels im 70er-Jahre-Ambiente und wenig Freizeitangebote abseits von Wanderwegen und Loipen lockten immer weniger Besucher an. Zwischen 1994 und 2009 sanken die Übernachtungszahlen nach Angaben des Harzer Tourismusverbandes von 8,9 Millionen auf 7,6 Millionen. In Altenau, einem der traditionsreichsten Ferienorte im Oberharz, halbierte sich die Zahl der Übernachtungen in diesem Zeitraum von 680 000 auf 332 000.
Der Westharz fiel hinter den Ostteil der Ferienregion zurück – zu einem Teil sicher der unterschiedlichen Förderpolitik der Länder geschuldet, aber auch dem Mangel an eigenen, zielgruppenorientierten Themen, die lange Zeit nahezu unbeachtet doch direkt am Wege lagen.
Der Tourismusverband war es schließlich, der den Harz als Dachmarke unter den vier Themenschwerpunkten Aktiv-, Natur-, Kultur- und Winterharz gezielt zu bewerben begann und beim Gastgewerbe zur Qualitätsoffensive blies. Der 2010 um die Oberharzer Wasserwirtschaft erweiterte Weltkulturerbestatus rückte die einzigartigen erhaltenen Spuren der Harzer Bergbaugeschichte in die Berichterstattung überregionaler Medien und in die Reisepläne neuer Zielgruppen. Und Altenau schuf sich mit dem heilklimatischen Wandern ein wetter- und vor allem schneeunabhängiges Alleinstellungsmerkmal.
Inzwischen geht es wieder bergauf, der Westharz hat insbesondere bei der Aufenthaltsdauer der Gäste die Harzdestinationen in Sachsen-Anhalt und Thüringen überholt und scheint den Zahlen der Landesstatistiker seit 2009 zufolge nachhaltig im Aufwind zu sein.
Der Harzer Tourismusverband will zudem stärker mit regionalen Produkten und einer regionalen Küche werben. Dazu rief er das Siegel „Typisch Harz“ ins Leben, mit dem seit 2010 rund 30 Erzeuger von Osterode über Goslar bis ins Mansfelder Land für mittlerweile mehr als 200 Produkte ausgezeichnet wurden. Regionale Lebens- und Genussmittel sollen dem Urlaubsgebiet Harz helfen, einen unverwechselbaren Charakter auszuprägen. Außerdem fügt sich die Idee in das Slow-Food-Konzept, dem mehrere Restaurants bereits folgen.
Die Zahl der „Qualitätsgastgeber Wanderbares Deutschland“, ein jeweils für drei Jahre verliehenes Zertifikat des Deutschen Wanderverbandes, wächst stetig. Ziel ist eine auf die Bedürfnisse der Wanderer zugeschnittene Servicekette. Die Wander-Studie 2014 positionierte den Harz dicht hinter dem Schwarzwald und gleichauf mit Bayern unter den beliebtesten Wanderregionen der Republik.
Der Harzer Hexenstieg, am 3. Oktober 2003 auf dem Brocken eingeweiht und 2008 vom Deutschen Wanderverband zum Qualitätswanderweg erhoben, verbindet als eine der beliebtesten Wanderrouten Ost und West von Thale bis Osterode. Auf anderen Gebieten zeigt sich jedoch, dass die Kirchtürme noch fest im Blick sind. Die Erweiterung der Brockenbahn in den Westharz scheiterte, die großzügig geförderte Schierke-Entwicklung erzeugt Murren unterm Wurmberg, und das Harzer Urlaubs-Ticket Hatix ist ein Ostharzer Modell geblieben: Westharzer Kommunen nahmen Abstand, weil in Niedersachsen der öffentliche Personennahverkehr nicht aus der Kurtaxe gestützt werden darf.
Verbindungen schaffen, zum Wohl des Harzes wirken. Aufgaben, die der Harzklub seit 1886 wahrnimmt. Nie allerdings stellte der Verein diese Kraft nachhaltiger unter Beweis, als in den Monaten nach der Grenzöffnung. Aus dem Nichts wurden Verbindungen geschaffen. Aus Partnerschaften unter Zweigvereinen erwuchsen Freundschaften. Wanderwege wurden eröffnet, Brücken gebaut. Und nur fünf Monate nach jenem 11. November 1989, an dem in Stapelburg die innerdeutsche Grenze fiel, legte der Harzklub am 11. April 1990 seine Karte „Wandern im Mittleren Harz“ vor. Bundesweit die erste grenzübergreifende Wanderkarte.
Wenn große Dinge bewegt werden, hat dies immer mit entschlossenen Menschen zu tun. Die fanden sich im Harzklub in reicher Zahl, einem Mann aber widmet die Harzklub-Chronik ein eigenes Kapitel: dem „Brückenbauer Hans-Dieter Harnisch“. Der 2003 verstorbene Vorsitzende des Zweigvereins Hannover, Hauptwegewart und Ehrenmitglied des Vereins, organisierte die ersten deutsch-deutschen Wanderertreffen nur Tage nach dem Mauerfall.
Seine Berichte spiegeln die Aufbruchsstimmung wieder, die auch den Harzklub erfasst hatte. Begeistert gefeiert wurde der Moment, als eine erste Wandergruppe aus Wernigerode Torfhaus erreichte und dort im Wanderheim den Wanderwimpel des Zweigvereins Wernigerode entrollte. Über 40 Jahre lang war der Wimpel in einem Versteck wie ein Schatz gehütet worden.
Mit einer von Harnisch entwickelten Folientechnik startete der Harzklub auch bei der Ausschilderung der Wegeverbindungen durch. Die erforderlichen Mittel wurden kurzerhand aus dem Topf des Naturparks Westharz genommen. „Niemand fragte damals danach, ob es rechtens sei, solche Gelder außerhalb des Landes Niedersachsens zu verwenden“, erinnert der seinerzeitige Harzklub-Vorsitzende Dr. Albrecht von Kortzfleisch in der Harzklub-Chronik an die gemeinsame Aufbauarbeit. Rund 3000 Schilder pro Jahr fertigte Harnischs Team in dieser Zeit.
Tanne war Schauplatz der ersten Wiedergründung eines Harzklub-Zweigvereins auf dem Gebiet der damaligen DDR. Am 18. Dezember 1989 bereits war es soweit, auch dank der Unterstützung des Zweigvereins Braunlage. Eine „Patenschaft“, wie es sie bald vielfach geben sollte. Zur ersten Jahreshauptversammlung des Harzklubs nach der Grenzöffnung kamen im Mai 1990 Delegationen von wiedergegründeten 33 Zweigvereinen nach Bad Lauterberg.
In dem Vierteljahrhundert seit dem Fall der Mauer ist es nicht vielen Vereinen und Institutionen gelungen, so intensiv wie der Harzklub den über Jahrzehnte geteilten Harz zu einen. Die Grundlagen dafür legte die Vereinsspitze unter Federführung von Kortzfleischs im Eilverfahren mit Satzungsänderungen, die zum einen die neuen Zweigvereine in die Strukturen einbanden, zum anderen vor allem aber die Ziele und Aufgaben neu formulierte. Als „Heimat-, Wander- und Naturschutzbund“ agierte der Harzklub die Ländergrenzen überschreitend und streitbar in der Sache, wenn es beispielsweise um die Weichenstellungen mit Blick auf Naturpark und Nationalpark ging.
Seine einigende Kraft demonstriert der Harzklub meist in der „Alltagsarbeit“ der Wegewarte und Wanderführer, der Naturschutzwarte und Heimatgruppen. Zum 25. Jahrestag der Grenzöffnung aber erhielt er die Chance, diese Kraft bundesweit zu demonstrieren. Der 114. Deutsche Wandertag in Bad Harzburg führte eindrucksvoll vor Augen, wie der Harz unter der Flagge des Harzklubs zusammenrückt. Damit, so Vorsitzender Dr. Michael Ermrich auf dem Brocken, war das größte Wanderfest der Welt auch ein Fest der Wiedervereinigung, zu der der Harzklub im Harz entscheidend beigetragen hat.
Der grenzenlose Harz hat in 25 Jahren eine weitere Stufe erreicht. Heute, im Jahr 2039 ist der Harz zu einer Einheit geworden. Geholfen hat dabei die Bereitschaft zu mehr Zusammenarbeit aller Harzer Gebietskörperschaften. Der Harz ist eine Art Metropolregion auf dem Lande geworden, die in den Landeshauptstädten, in Berlin und in Brüssel erfolgreich, weil mit einer Stimme die Mittel einwirbt, die dafür sorgt, dass die Schaffung von annähernd gleichen Lebensbedingungen auch im Harz kein spruch bleibt.
Längst ist der Goslarer Oberbürgermeister Oliver Junk Geschichte, der vor 25 Jahren zu diesem gemeinsamen Handeln aufgerufen hatte. Der Spott seiner einstigen Gegner ist verstummt, der Harz weiß heute seine Interessen gut zu behaupten. Und das rechnet sich. Investoren vertrauen darauf, dass Menschen hier bleiben, weil sie merken, dass nicht alles weniger wird, sondern weniger durchaus auch alles sein kann.
Dem Harz geht es gut, auch wenn die Jahre bis dahin schwierig waren. Die Überalterung der hier Bevölkerung hat endlich die Verantwortlichen auf den Plan gerufen: Seit der 2014 erfolgten Änderung der Asyl- und Einwanderungspolitik der damaligen schwarz-roten Koalition haben sich Möglichkeiten ergeben, gut ausgebildeten Menschen aus über 40 Nationen weltweit eine neue Bleibe zu geben. Das hat Investoren aufmerksam werden lassen, die hier am Rand des Harzes dank gut ausgebildeter in- und ausländischer Fachkräfte ihre Chancen sehen.
Auch, weil sie durch klar auf Zukunftstechnologien ausgerichtete Hochschulen in Clausthal, Goslar, Wenigerode und Nordhausen unterstützt werden. Die Energiepolitik der letzten 25 Jahre hat nach anfänglichen Problemen Fahrt aufgenommen, Und der Harz zählt heute zu den führenden Technologieregionen der Welt auf diesem Sektor.
Zu guter Letzt: Die Tourismusregion Harz. Fernreisen sind 2039 gar nicht mehr so beliebt. Zu teuer sind die Fernflüge, zu unsicher die früher beliebten Destinationen. Terror und Gefahren für die Gesundheit lassen die Deutschen mehr und mehr aufs eigene Land schauen.
Der Sonnenuntergang über dem Brocken ist das wohl angesagte Szenario für Natur-Romantiker. Doch ist der unbesonnte Untergang des Harzes eher eine Sache der Realisten, die sich auf Datenmaterial der Gegenwart stützen, um dann ihr düsteres Bild von der Zukunft zu entwerfen. So soll es auch hier geschehen, weil der Blick ins Glas nicht vorhersagen kann, wie es denn wirklich kommen wird.
Wenn es allein nach der Bevölkerungsstatistik der Gegenwart ginge, dann wäre der Harz im Jahr 2039 weitgehend entvölkert. Bis zu 50 Prozent sollen die Bewohnerzahlen in einigen Orten schrumpfen. Immobilien, weil unbewohnt und unverkäuflich, wären dem Verfall anheim gegeben. Das Beste, was wir noch aus der Situation herauslesen könnten, wäre der Umstand, dass sich die allgewaltige Natur nach und nach zurückerobert, was Menschen ihr über Jahrtausende genommen haben.
Aber was ist mit der hier noch lebenden Bevölkerung, wie lebt sie in 25 Jahren? Im schlimmsten Fall wäre hier über lang oder ganz lang alles mehr oder weniger Nationalpark. Mit kleinen Inseln des Tourismus. Bleiben die, die den Harz als ihre Heimat sehen und nie und nimmer weichen würden. Wer noch Arbeit hat, fährt weit und hat die zermürbende Last großen Zeitaufwandes.
Die Versorgung mit Gütern des Alltages ist schwieriger, weil die Wege zu den wenigen verbliebenen Klein- und Mittenzentren weiter sind. Die medizinische Versorgung der überalterten Bevölkerung müsste mit mobilen Vorsorge- und Rettungseinrichtungen neu aufgestellt werden.
Die Infrastruktur wäre nicht mehr auf heutigem Niveau zu halten. Die Kosten zum Unterhalt von Ortsstraßen, Kläranlagen, Beleuchtung, etc. würden die finanziellen Möglichkeiten der Kommunen bei Weitem übersteigen. Die kommunale Selbstverwaltung würde zur Farce.
Das Gemeinschaftsleben wie Ehrenamt, Vereinsvielfalt, Kulturangebote; alles würde schrumpfen, weil es nicht genug Menschen sind, die das alles mit Leben erfüllen. Die Einsiedelei würde zwangsläufig zum unfreiwilligen Lebensprinzip.