Goslar

Service und Nähe zum Kunden zählen

Wir sind schlicht und einfach überrannt worden.“ Heinz Rohde erinnert sich gut an die Grenzöffnung und die folgenden Monate bis zu Währungsunion und Wiedervereinigung. Im Goslarer Autohaus der Heinemann-Gruppe erfuhren die Mitarbeiter um den damaligen Chef Dr. Hans Heinemann schnell, wie weit oben in der Wunschtraum-Werteskala vieler Ostdeutscher ein Westwagen rangierte. Erst zum Gucken, dann zum Kaufen stürmten sie das Autohaus in der Baßgeige.

Vor allem auch ein guter Service sorgte dafür, dass der Kundenzustrom nicht abriss – und Überlegungen auslöste, in Richtung Osten zu expandieren. „Ein weiteres Standbein in Wernigerode“, so erinnert sich heute der Geschäftsführende Gesellschafter der Heinemann-Gruppe, Marc Heinemann, war eine „logische Konsequenz der rasanten Entwicklung“.

Es wurde nicht lange gezaudert. Schon am 9. Januar 1993 wurde das Autohaus Heinemann im Gewerbegebiet Stadtfeld eröffnet. „Wir waren einer der ersten Betriebe aus den alten Bundesländern, die im Stadtfeld aufmachten“, sagt Heinz Rohde, der als Betriebsleiter in den ersten Jahren in der bunten Stadt am Harz viel Aufbauarbeit zu leisten hatte.

Ein Bild vom Start im Gewerbegebiet Stadtfeld in Wernigerode. Das Autohaus Heinemann gehörte zu den ersten Unternehmen, die das Gelände an der Bundesstraße B 6 n mit Leben füllten. Foto: Autohaus Heinemann

„Wir hatten ausschließlich Mitarbeiter aus den neuen Ländern eingestellt“, erzählt Rohde. Ein kluger Schachzug, denn so agierte das Team nach Dienstschluss sozusagen noch zusätzlich als Werbeträger. Vor allem aber hatten die Mechaniker in der turbulenten Anfangsphase, als noch nicht alle logistischen Stränge von West nach Ost reibungslos liefen, einen großen Vorteil: „Sie kannten sich mit Mangel aus, konnten improvisieren“, erzählt Rohde lachend.

Von den Autohäusern, die sich seinerzeit aus dem Westen nach Wernigerode aufmachten, ist das Autohaus Heinemann das einzige, das kontinuierlich seit dem Start vor 21 Jahren Präsenz zeigt, sind Marc Heinemann und Heinz Rohde durchaus auch stolz auf die Leistung, die die Unternehmensgruppe mit ihren Mitarbeitern erbrachte. Der Entschluss, die Treue vieler Kunden aus Sachsen-Anhalt dadurch auch zu belohnen, dass man ihnen quasi entgegenkam und vor Ort den bekannt guten Service bot, habe sich bis heute als richtig erwiesen.

Marc Heinemann (li.) und Heinz Rohde im Verkaufsraum des Autohauses in der Goslarer Baßgeige. Nähe zum Kunden und umfassender Service prägen die Firmenphilosophie.Foto: Beckmann

Die Einnahmen aus den Boom-Jahren nach der Grenzöffnung wurden in der Gruppe klug reinvestiert. Heute steht Autoservice aus dem Hause Heinemann den Kunden an drei Standorten zur Verfügung: Goslar ( Honda, Hyundai, Fiat, Fiat Professional Service, Nissan Service), Salzgitter-Lebenstedt (Hyundai, Fiat, Fiat Professional Service) und Wernigerode (Citroen, Hyundai, Fiat, Nissan Service, Fiat Professional Service).

Mit 800-DM-Kredit zum Umsatzmillionär

Der Mauerfall und die offenen Grenzen gegenüber Osteuropa machten es möglich: Ein junger polnischer Ingenieur nutzte alte Verbindungen in den Harz und startete in Nachwendetagen eine Unternehmung, die ihm heute Millionen Euro-Umsätze und 400 Mitarbeitern feste Arbeitsplätze sichert.

Früh morgens machte sich Joachim Siekiera mit seinem Polski Fiat auf den 650 Kilometer langen Weg von Krapkowice in Polen nach Goslar. An diesem Tag im Sommer 1991 wollte er Verwandte in Goslar besuchen – und legte nebenbei den Grundstein für ein mittlerweile europaweit und darüber hinaus wirkendes umsatzstarkes Unternehmen. Das erste Geschäft im Wert von 800 DM beruhte allerdings noch ausschließlich auf Vertrauen, das dem deutschstämmigen Joachim Siekiera in Goslar entgegengebracht wurde.

Krapkowice ist die einstige deutsche Kleinstadt Krappitz in Oberschlesien, im heutigen Südwesten Polens. Dort, wo der Fluss Hotzenplotz in die Oder mündet, zwischen Opole (Oppeln) und Katowice (Kattowitz) liegt das 17 000-Einwohnerstädtchen, das sein wirtschaftliches Herz in der Schuhproduktion und in der Papierfabrikation hatte.

Papier ist es auch, das Krappitz mit dem Harz verband. Denn die Fabrikationsstätten, die Natronag in Goslar-Oker und die Papierfabrik Krappitz AG, gehörten beide zur Natronzellstoff- und Papierfabriken Aktiengesellschaft. Joachim Siekiera war damals junger Betriebsleiter in der Krapkowicer Papiersackabteilung.

In 23 Jahren vom 800-DM-Vertrauensvorschuss aus Goslar zum Umsatzmillionen-Unternehmen in Krapkowice: Firmenchef Joachim Siekiera (links) und Dr. Jürgen Hauschild zeigen die modernen Produktionshallen.

Nach dem Krieg verschlug es viele Krappitzer, die aus ihrer Heimat geflüchtet waren, nach Oker und Goslar. Sie fanden aus alter Verbundenheit in der Natronag eine Anstellung, bauten sich im Harz eine neue Existenz auf. Die Kontakte zur Heimat blieben bestehen, überdauerten den Eisernen Vorhang und den Kalten Krieg.

So führte den Betriebsleiter einer seiner ersten Westwege nach der Grenzöffnung in den Harz, einer Tante wegen, die er in Goslar besuchen wollte, und um die Natronag in Oker aufzusuchen. Geschäftliche Verbindungen gab es zwischen den beiden Werken seit der Ost-West-Teilung zwar nicht mehr, doch hoffte Siekiera, Einblicke in neue Technologien der Papiersackproduktion zu erhalten.

Von einem der Hauptauftraggeber der Krapkowicer Papierfabrik, der Zementfabrik im selben Ort, bekam er noch den Auftrag mit auf den Weg in den Westen, eine Druckplatte zum Bedrucken von Zementsäcken zu besorgen. Barmittel wurden dem Westreisenden allerdings nicht in die Hand gegeben.

Der Empfang in der Natronag in Oker war herzlich, dem Wunsch nach dem Mitbringsel für die Zementfabrik konnte man hier allerdings nicht nachkommen. Klischees, also Druckstöcke, wurden nicht selbst hergestellt. Die bezog die Natronag unter anderem von der Goslarer Firma Kropf.

Also machte sich Joachim Siekiera auf den Weg zum Spezialisten für Druckplatten und Druckfarben in die Baßgeige. Firmenchef Wolfgang Kropf empfing den Gast aus Polen höchstpersönlich, führte ihn durch die Produktionshallen und zeigte ihm die neuesten Techniken zur Farben- und Klischeeherstellung.

Schaut man heute zurück, dann ist sicher noch vieles zu tun. Aber weit mehr ist gelungen. Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland

Joachim Siekiera staunte über die Wunder westlicher Technik. Er schaute genau hin, schwebte ihm doch vor, Ähnliches auch in Polen zu produzieren. Und dann war da noch der Wunsch der Krapkowicer Zementfabrik. Selbstverständlich war die Firma Kropf in der Lage und auch bereit, eine solche Druckplatte herzustellen, doch gab es ein Problem: Joachim Siekiera hatte kein Geld, um das 800 DM teure Werkstück zu bezahlen. Wolfgang Kropf war voller Vertrauen: Sein Gast solle das Klischee nach Krapkowice mitnehmen und hernach den Rechnungsbetrag per Überweisung begleichen.

Zurück in Polen lieferte Siekiera die Druckplatte beim Zementwerk ab, bekam das geforderte Geld und schickte es nach Goslar. Das war der Beginn einer mehrjährigen, guten Zusammenarbeit und der Startschuss für ein Unternehmen, das der Krapkowicer zunächst als Joint Venture zusammen mit Wolfgang Kropf und später allein, unterstützt von Kropfs Leiter der Farbproduktion, Dr. Jürgen Hauschild, aufgebaut und geführt hat.

Das Sortiment entsprach dem des Goslarer Vorbildes: Druckplatten und Druckfarbe. Hinzu kam später die Herstellung von Werkzeugen, mit denen Pappkartons gestanzt werden. Alles zusammen ein einträgliches Geschäft, das mittlerweile seit 23 Jahren stetig wachsend läuft. Das Familienunternehmen beliefert Druckereien in ganz Polen, in Deutschland und in vielen anderen europäischen Ländern. Es wurden Produktionsstätten in Tschechien, Rumänien, der Slowakei, in Österreich und in Leipzig gegründet.

In Krapkowice expandiert die Produktion ständig. Sobald neue Fertigungshallen bezogen worden waren, scheinen sie auch schon wieder zu klein zu sein. Gerade vor zwei Jahren wurde eine Produktionsstätte für die Druckfarbenherstellung völlig neu aufgebaut.

Aus dem einstmals vertrauensvoll in Goslar geliehenen 800 DM ist ein Jahresumsatz von zuletzt 67 Millionen Euro geworden. Mehr als 400 Mitarbeiter finden in der Firma „Chespa“ (Chemie-Siekiera-Papier) hochqualifizierte Arbeitsplätze.

Und diese Expansion beruht ausschließlich auf Qualität und Präzision der Produkte, nicht auf Preisvorteilen, die aus niedrigen Arbeitslöhnen hervorgehen. „Wir zahlen unseren Mitarbeitern ähnlich hohe Gehälter wie in Deutschland“, sagt Joachim Siekiera gegenüber der GZ. „Wir wollen doch unsere qualifizierten Mitarbeiter bei uns behalten und sie nicht in den Westen abwandern lassen.“

Die Wende und Wärme aus dem Westen

Als der Kalte Krieg pünktlich zur Heizperiode im November 1989 mit der Grenzöffnung zu Ende ging, war wohlige Wärme gefragt. Wärme aus dem Westen. „Wir wurden einfach überrannt“, erinnert sich Karl-Heinz Kramer, Innendienstleiter der Buderus-Niederlassung Goslar. Und der erste Ansturm sollte nur ein Vorgeschmack sein auf dass, was nach Währungsunion deutscher Einheit kommen sollte.

Ein guter Name, der für Qualität und Service steht, zieht über Grenzen hinweg. Wobei die Buderus Heiztechnik in der DDR Kennern bekannt war, erzählt Niederlassungsleiter Klaus Schulze. Die Anlagen waren dank der Caritas über die Grenze und vor allem in kirchliche Einrichtungen gelangt.

Unterdessen war die 1985 in der Baßgeige gebaute Goslarer Buderus-Niederlassung mit der Wende aus der Zonenrandlage urplötzlich ins Zentrum des Geschehens gerückt. Material und Wissen der Buderus-Experten waren gleichermaßen gefragt. „Früh morgens um 5 Uhr stand der Hof schon voller Trabis“, erinnert sich Karl-Heinz Kramer. Und nach der Währungsunion standen auch mal Kunden vor der Tür, die mit einem Koffer voller Geld kamen, um Rechnungen bar zu begleichen.

25 Jahre nach der Grenzöffnung in West und Ost gut aufgestellt (v.li.) Buderus Innendienstleiter Karl-Heinz Kramer und Niederlassungsleiter Klaus Schulze. Foto: Beckmann

Diese Lieferliste war in jenen Jahren lang wie nie. „Obwohl das Material ohne Pause angeliefert wurde, konnten wir oft dennoch nur einen Bruchteil der Aufträge bedienen, da fühlte man sich wieder wie in der Mangelwirtschaft der DDR“, erzählt Klaus Schulze. Eine Erfahrung, die gerade auch das Goslarer Buderus-Team machen musste. Bis an die polnische Grenze wurde geliefert und Innungen und Handwerksbetriebe in der Ex- DDR orientierten sich vorrangig in Richtung der ersten Buderus-Niederlassung im Westen.

Mit dem Betreuungsgebiet, das heute bis Quedlinburg, Thale, Nordhausen, Göttingen, Uslar, Einbeck und Salzgitter reicht, wuchs auch der Unternehmenssitz in der Kaiserstadt. Knapp vier Jahre nach der Grenzöffnung wurde der Betrieb im Magdeburger Kamp deutlich erweitert. „Damit hatte die ,Lagerhaltung‘ auf dem Hof ein Ende“, berichtet Kramer schmunzelnd über die bewegenden und bewegten Jahre.

Der „Ausnahmezustand“ liegt ein Vierteljahrhundert zurück. Die Kunden aber, darauf sind Klaus Schulze und Karl-Heinz Kramer stolz, sind geblieben. Qualität und Service, die einst über die Grenze nach Osten zogen, haben den Grundstein für eine treue Partnerschaft und einen festen Kundenstamm gelegt.

Von der Stasi ausgespäht

Selbst das Verhältnis zu den Nachbarn war für die Stasi interessant. Die GZ hat Namen, Adresse und Geburtsdaten der Betroffenen geschwärzt. Repro: Nöhr

Was für ein Gefühl es wohl ist, zum ersten Mal in seine eigene Stasi-Akte zu schauen? Eine Goslarerin, die in der DDR gelebt hat, hat sich nach der Wiedervereinigung Einblick in die Unterlagen verschafft, die das Ministerium für Staatssicherheit über sie angelegt hatte. Sie möchte anonym bleiben. Ein Großteil der Aufzeichnungen sei wohl vernichtet worden, wie übrigens auch die komplette Akte ihres Ehemannes sagt die Frau. "Darum war es eigentlich nicht so spektakulär", erinnert sie sich an ihren ersten Blick auf die Unterlagen. Vor allem Zeitpunkte, wann ihre Familie Kontakt zur Verwandtschaft in der Bundesrepublik Deutschland hatte, sei dokumentiert worden. Und eben dieser Auszug: Es ist eine kurze Zusammenfassung ihrer Lebensverhältnisse. Wie ist ihr Ruf bei der Arbeit, welche Freundschaften pflegt sie, wie ist ihr Verhältnis zur SED? Auch ihre familiären und finanziellen Verhältnisse werden aufgeführt, ebenso wie ihr Verhältnis zu den Nachbarn, Verbindungen zu "konfessionellen Einrichtungen" und Kontakte nach Westdeutschland. Die betroffene Person wird ständig als "die [NACHNAME]" bezeichnet. Unterschrieben ist der Bericht mit "Sonde" - Deckname des Informanten, den die Goslarerin bis heute nicht kennt. "Für die Richtigkeit (fdR.)" unterzeichnete ein gewisser "Ingo" - wohl ein hauptamtlicher Stasi-Offizier.