In der Wochenendausgabe vom 18./19. November berichtet die GZ noch, die Ankündigung zur Grenzöffnung sei eine Falschmeldung gewesen: „Von Mitarbeitern des Kreises Wernigerode hieß es, dass die gestern in der DDR-Zeitung 'Volksstimme' veröffentlichte Meldung falsch sei, wonach der Übergang von Benneckenstein nach Hohegeiß am Samstag bereits um 6 Uhr und für Autos geöffnet werde. Es bleibe zunächst bei einer Passierstelle für Fußgänger und Radfahrer, die ab 8 Uhr freigegeben werde." Trotzdem wurden die Menschen ab 6 Uhr durchgelassen, die wegen der Falschmeldung schon vor der Grenze standen. Zwölf DDR-Bürger durften sogar bereits kurz nach Mitternacht die Grenze überschreiten, denn sie hatten eine lange Reise hinter sich.
Zum Leben an der Grenze gehörten immer wieder aufsehenerregende Ereignisse. Für viele im Harz hatte die Grenzziehung aber auch ganz persönliche Folgen, über die keine Zeitung berichtete. Dazu gehörte die Trennung von Familienangehörigen „im Osten“. Ein Beispiel:
Seit 1945 wohnte Wilhelm H. in Hohegeiß, aber viele von seiner Verwandtschaft, so auch seine Schwester Frieda, lebten in Benneckenstein. Anfangs gab es noch Besuche über die Grenze hinweg, aber dann blieb nur noch das Briefeschreiben.
Auch zum 70. Geburtstag konnte die Schwester nicht aus Benneckenstein nach Hohegeiß kommen. Es kam nur ein Brief mit folgendem Inhalt: „Lieber Wilhelm! Gern würde ich Dich an Deinem Geburtstag besuchen und mit Euch feiern. Aber aus den bekannten Gründen geht es leider nicht. Du sollst aber wissen, daß ich trotzdem an diesem Tag an Dich denke. Ich werde mittags ein weißes Bettlaken aus dem Bodenfenster unseres Hauses hängen. Wenn Du das siehst, ist es ein Gruß von Deiner Schwester ...“
Und so ging Wilhelm H. am Geburtstag mittags auf den Brockenblick, der damals noch freie Sicht nach Benneckenstein bot, und suchte mit dem Fernglas das Haus seiner Schwester. Als er das Bodenfenster und das Bettlaken sah, wusste er: Meine Schwester denkt an mich.